wir sind dran #6
Ich baue mir die Welt, wie sie mir gefällt.
Meine Kolumne erzählt monatlich die Geschichten von Menschen, die an der Schnittstelle von Architektur und Verantwortung wirken. Warum? Weil die gebaute Welt einen großen Impakt auf Klima, Umwelt und die Gesellschaft hat – im Positiven wie im Negativen. Die gute Nachricht: Wir alle können unseren Beitrag zu einer besseren Bauwelt leisten. So wie Lena Alipoé-Schnetzer und Michael Barsakidis, die mit ihren beruflichen Disziplinen zwar an sehr unterschiedlichen Polen wirken, sich für das Übersetzen und Generieren von Antworten und Lösungsmöglichkeiten jedoch beide der guten, alten LEGO® Steine bedienen.
Dr. med. Lena Alipoé-Schnetzer ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Traumatherapeutin und Gruppentherapie-Therapeutin mit den Schwerpunkten Tiefenpsychologische Therapie und Analytische Therapie. Viele therapeutische Schwerpunkte, die in ihrer bunten Praxis auf dem ehemaligen Rittergut in Hannover-Bemerode zum Einsatz kommen. Die Praxisräume hat Lena Anfang 2020 zusammen mit allen Mitarbeitenden, dem Patient*innenstamm und dem gesamten Mobiliar von ihrem Vorgänger übernommen. „Wieviel Neuerung vertragen die Behandler*innen und Patient*innen, ohne sich „verpflanzt“ zu fühlen? Wie kann ich meine Mitarbeitenden sichtbar(er) machen? Und wie gebe ich der Praxis (m)eine eigene Handschrift, ohne die Einrichtung aus den 90er und 2000er Jahren komplett auszutauschen?!“ waren einige der vielen Fragen, die sie damals jonglierte und vor mir ausbreitete. Für mich als Diplom-Ingenieurin der Innenarchitektur, Nachhaltigkeitsmanagerin und Expertin in Communication & Leadership sah ich hier vor allem die drei Säulen der Nachhaltigkeit adressiert. Die ersten beiden Punkte verhandeln klar die soziale Nachhaltigkeit, während die dritte Frage die ökonomischen (also finanziellen) und ökologischen (i.S.d. Ressourcenschonung) Aspekte beleuchtet.
Gemeinsam mit der Praxisinhaberin und Ärztin Dr. Alipoé-Schnetzer habe ich unter dem Motto „unika“ („einzigartig“ auf Esperanto) ein Low-Budget- und Up-Cycling-Konzept entwickelt, das wir in nur drei Wochen Bauzeit in die Praxisräume implementiert haben. Das Farbkonzept schafft heute Ruhe und Orientierung zugleich; zeitgleich haben die verschiedenen Möbelstücke eines Raumes durch das Umlackieren konzeptionell zusammengefunden. Jeder Behandlungsraum hat zudem ein Motiv, das seine Unverwechselbarkeit betont. Die Muster von Birken, Schmetterlingen, Leoparden und Zebras standen Pate für das Thema der Einzigartigkeit – und im Arztzimmer wird sogar der Fleck, ein vermeintlicher Makel, inszeniert. Dieser Mut und die damit einhergehende Offenheit meiner Bauherrin haben vor über drei Jahren nicht nur mich, sondern auch das gesamte Praxisteam sehr beeindruckt.
Die differenzierte Gestaltung der Behandlungszimmer gibt den Therapeut*innen die Möglichkeit, für jede Sitzung das für die jeweiligen Patient*innen passende Zimmer zu wählen. Regelmäßige Raumwechsel sind sogar gewünscht und mittlerweile Teil der Therapiemethode.
Aber nicht nur die Behandlungsräume sind bunt; auch im Kleinen kommt die große Farbpalette zum Einsatz. Gemeint ist LEGO® mit seiner Wunderwirkung im Therapiekontext! Dieses magische Plastikzeug bringt nicht nur Euren Füßen Schmerzen, wenn Ihr des Nachts im Kinderzimmer versehentlich auf einen Stein tretet, sondern auch therapeutische Vorteile. Mit den Klemmbausteinen können Kinder und Jugendliche ihre Kreativität entfesseln, ihre Feinmotorik verbessern und soziale Fähigkeiten trainieren. Vor allem aber können die Plastiksteine als Brückenbauer und „Möglichmacher“ fungieren, wenn es beispielsweise bindungsgestörten oder -gehemmten Menschen schwerfällt, in die Interaktion zu gehen.
Wenn sich zwischen Patient*innen und Therapeut*innen ein buntes Baustein-Meer ergießt, kann mit jedem Griff und jedem Klick eine neue Welt entstehen. Zeitgleich wird eine Geschichte erzählt, trotz des manchmal vorherrschenden inneren Widerstands ins Gespräch zu kommen. Diese erzählerische Brücke, diese Übersetzungsleistung, wird übrigens nicht nur zwischen Kindern und Therapierenden gebaut; sie kann im Rahmen der Sitzung auch von den Eltern gemeinsam mit ihrem Kind begangen werden.
Während der Wartebereich der Praxis über seine Farbigkeit auf die unterschiedlichen Behandlungsräume einstimmt, bringt er die Wartenden – noch vor der eigentlichen Therapiesitzung – mit LEGO® und DUPLO® in Kontakt. Zu einer Seite des Raumes sind graue Bauplatten in einem langen Band an die Wand montiert. Davor steht eine Sitzbank, deren Polsterfläche an zwei Stellen von Baustein-Kisten unterbrochen wird. Anstatt die Wartezeit wahlweise nervös „abzusitzen“ oder sich mit dem Handy abzulenken, werden die Patient*innen (und manchmal auch deren Eltern) kreativ, bauen einzeln oder gemeinsam und verändern die LEGO® Wand konstant durch ihre individuellen Aktionen. Während die Jugendlichen eher in unbeobachteten Momenten zu den Steinen greifen und heimliche LEGO®-Botschaften hinterlassen, kommt es nicht selten vor, dass gerade die jüngeren Kinder ihre Bauwerke stolz mit ins Behandlungszimmer nehmen und die Sitzung mit der Präsentation des Gebauten beginnen, erzählt Lena Alipoé-Schnetzer. Gefragt nach der Lautstärke, die im Wartezimmer durch die Suche nach DEM passenden Stein regelmäßig entsteht, berichtet die Ärztin von großen Unterschieden zwischen den provokanten Wühlern und leisen Erbauern. Trotz des Lärms möchte sie dieses Spielangebot nicht missen. Im Gegenteil: „Ich erfreue mich jeden Tag daran, dass die Wand immer anders aussieht. Kürzlich, im Pride Month, tauchten plötzlich lauter Regenbogen zwischen Herzen, Blumen, abstrakten Formen oder konkreten Bauwerken auf.“
Viele Kinder und Jugendliche brauchen etwas Konkretes, an dem sie im nächsten Therapietermin nahtlos ansetzen können, habe ich beim Praxisumbau gelernt. Lena Alipoé-Schnetzer und ihr Team arbeiten daher gerne mit Bauplatten, auf denen die gedanklichen Welten, die in einer Sitzung entstehen, fixiert werden. Aber wohin mit den vielen bebauten Platten? Wir haben die Werke kurzerhand zu Kunst erklärt und im Praxisflur beleuchtete Kuben installiert, in denen die Werke sicher auf die nächste Sitzung ihrer Erbauer warten. Gerade weil die Übersetzung der bunten Steine in eine spezifische (Kranken)Geschichte nur durch die Therapeut*innen und Baumeister*innen geleistet werden kann, ist das Ausstellen der Arbeiten auch unter Gesichtspunkten des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht unbedenklich. Ganz im Gegenteil: Der therapeutische Prozess erfährt so eine zusätzliche Anerkennung und Wertschätzung.
Wenn der Hannoveraner Michael Barsakidis, Gründer der LSP Arena, in die LEGO® (Trick)Kisten greift – der Plural ist hier absichtlich gewählt, denn pro Workshopteilnehmer*in wird etwa 750 Gramm Material empfohlen – ist häufig eine „Strategieentwicklung in Echtzeit“ sein Ziel. Um dies zu erreichen, bedient er sich LEGO® Serious Play® (LSP), einer innovativen und co-kreativen Kommunikations- und Problemlösungsmethode. „Sie basiert auf der grundlegenden Idee, dass jeder komplexe Gedanke, jedes Erlebnis oder Vorhaben in Form von dreidimensionalen LEGO®-Modellen visualisiert und metaphorisch im Storytelling simplifiziert werden kann“, erklärt Michael auf seiner Website. Weiter heißt es „SERIOUS PLAY® bedeutet dabei, dass in einem moderierten Prozess konkrete Themen- und Problemstellungen aus der Unternehmens- und Organisationspraxis bearbeitet werden können. Dies geschieht zwar in einem spielerischen Kontext („PLAY“), dennoch stellt die Methode eine tiefgründige Kommunikation und zielführende Themenbearbeitung sicher, „SERIOUS“ halt.“
Seit 1996 wirkt Michael Barsakidis als Kommunikationswirt; 15 Jahre war er Inhaber einer Werbe- und Kommunikationsagentur. Noch in seiner aktiven Agenturzeit ließ er sich in mehreren Zertifikatskursen zum LEGO® Serious Play® Moderator in analogen, digitalen sowie hybriden Formaten ausbilden und ist heute ein erfahrener LSP Facilitator. Mit seiner Leidenschaft für „kreatives Denken mit den Händen“ und Teamarbeit unterstützt er Organisationen und Teams dabei, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Michael versteht es, eine sichere und offene Atmosphäre zu schaffen, in der alle Stimmen gehört werden und innovative Lösungen entstehen. Mich hat die Methodik auf dem letzten CSR-Kommunikationskongress so sehr begeistert, dass ich mich dieses Jahr selbst zum LEGO® Serious Play® Facilitator ausbilden ließ – und zwar vom Meister persönlich. Denn Michael hat die LSP-Methode mit Wissen und Anwendungsbeispielen aus dem Nachhaltigkeitsmanagement kombiniert. Für mich das perfekte „match made in heaven“.
Ähnlich wie ich beobachtet auch Michael, dass sich nachhaltiges Wirtschaften für Unternehmen zunehmend zu einem der entscheidenden Wettbewerbsfaktoren der Zukunft entwickelt. Gleichzeitig nimmt er ein sehr zögerliches Verhalten beim „ins Tun kommen“ wahr. „Wer die Zukunft seines Unternehmens sichern will, kann Faktoren wie den demografischen Wandel, den damit einhergehenden Fachkräftemangel, Energie und Rohstoffpreise, die zunehmende Weltbevölkerung sowie sich veränderndes gesellschaftliches Bewusstsein nicht ignorieren“, so Barsakidis. „Gleichzeitig machen mehr und mehr Unternehmen die Erfahrung, dass sich strategisches CSR- und Nachhaltigkeitsmanagement lohnt und Unternehmen ökonomische Vorteile bringt, wie Kostenreduzierung durch Einsparung von Ressourcen, Differenzierung von Wettbewerbern und Erschließung neuer Märkte oder Erhöhung der Mitarbeiterbindung.“
Wenn die intrinsische Motivation meiner Kund*innen zum Handeln nicht ausreicht, greife ich zu derselben Möhre. Insbesondere der Fachkräftemangel und die Herausforderung der Mitarbeiterbindung treibt die Baubranche um. Oder andersrum: Stehen allein ökologische Gründe und das Image hinter dem Unternehmensengagement, wird dieses schnell von kritischen Stakeholdern als Green-, White- oder Pinkwashing wahrgenommen. Entsprechend wichtig ist ein umfängliches, konsistent kommuniziertes und messbares CSR- und Nachhaltigkeitsmanagement, das auf alle drei Säulen der Nachhaltigkeit, also auf Ökologie, Ökonomie und Soziales, einzahlt.
Ich bin überzeugt, dass wir alle angesichts der deutlichen Auswirkungen der Klimakrise schnellstmöglich aktiv in die Verantwortung gehen oder unser Engagement erhöhen sollten. Nur frage ich mich regelmäßig, wie ich (noch mehr) für die Übernahme von Verantwortung begeistern kann – und wurde in LSP fündig.
Um eine Prise Humor in die ernsten Diskussionen zu bringen, wappne jetzt auch ich mich manchmal mit den kunterbunten Plastikbausteinen, wenn in den Konferenzräumen das Thema Nachhaltigkeitsmanagement in der Baubranche verhandelt werden will.
Stellt euch vor, ein Team von Architekt*innen, Ingenieur*innen, Projektentwickler*innen, Jurist*innen und Kommunikator*innen sitzt um einen Tisch, greift zu den kleinen Bausteinen und lässt Ideen entstehen. Eine riesige Windmühle auf dem Dach eines Hochhauses? Warum nicht! Eine begrünte Fassade, die Bienen und Schmetterlinge anlockt? Klar doch! Und wer hätte gedacht, dass ein Modell von genderneutralen Toiletten Begeisterung auslöst?! So geschehen kürzlich auf der REAL ESTATE ARENA, einer neuen Immobilienmesse, die dieses Jahr zum zweiten Mal – und begleitet von viel Zuspruch – in Hannover stattfand. Angeleitet von Michael Barsakidis sind wir der Frage nachgegangen, wie ein jeder, eine jede dazu beitragen kann, dass unsere gebaute Welt geschlechtergerechter wird. Ganz konkret haben wir damit unser Wirkpotenzial auf SDG 5, das Nachhaltigkeitsziel Nummer 5 der UN – Geschlechtergleichheit, co-kreativ unter die Lupe genommen.
Am Ende des Tages verließen die Teilnehmer*innen den Raum mit neuen Erkenntnissen und einem Lächeln im Gesicht. Denn wer von ihnen hätte am Mittag gedacht, dass Plastikbausteine dabei helfen können, nachhaltige Lösungen für die Baubranche zu entwickeln? LEGO® Serious Play® hat sie dazu inspiriert, die Grenzen des Denkens zu überschreiten und auf spielerische Weise kreative Ideen zu generieren.
Also, liebe Bauprofis, packt eure Bauhelme und euer inneres Kind aus und lasst uns gemeinsam die Baubranche nachhaltig revolutionieren – mit einer Prise Spaß und einem Haufen bunter LEGO®-Steine!
Kathrin Albrecht im Stadtkind 7/23